[Helge Seekamp has kindly translated a few articles from this site into German. This is a translation of “What do I mean when I say that Jesus is my personal Lord and saviour?”]
Der folgende Text vertieft die Frage, welche praktischen Konsequenzen der narrativ– historische Ansatz haben könnte. Besonders der Begriff der „persönlichen“ Beziehung mit Jesus wird hier betrachtet und in einen größeren Zusammenhang gebracht.
Ich habe festgestellt, dass Menschen manchmal meine Betonung der historischen und „politischen“ Dimension der neutestamentlichen „Story“ als seelenlos und unpersönlich empfinden. Besonders Evangelikale haben sich an die Idee gewöhnt, sich auf Jesus als ihren „persönlichen Herrn und Heiland“ zu beziehen. Und damit parallel entwickelte sich die Vorstellung, dass es eine allem zugrunde liegende Gefühlsbasis dieser Beziehung gibt, die besonders im Lobpreis ihren Ausdruck findet. Diese Art von Beziehung hält uns, gibt uns Trost und Sicherheit, ja vermittelt uns gute Gefühle—oder zumindestens erwarten wir das so.
Ich hatte ja schon vorgeschlagen, dass mein narrativ-historischer Interpretations-Zugang zur Bibel das gegenwärtige Engagement der Kirche mit dem auferstandenen Herrn Jesus mehr als den gekreuzigten Heiland in den Fokus rückt. Warum? Weil dieser Ansatz unterstreicht, wie wichtig es zu verstehen gilt, besonders in der eschatologischen Krise, was die Aufgabe Jesu als Herr (Kyrios) sei.
Herr der Geschichte (history)
- Zu allererst haben die Juden, die zum Glauben kamen dass ihr Gott seinen Sohn von den Toten auferweckt hatte, dies so gedeutet, dass der galliläische Prophet Jesus zum Messias und Herrn gemacht wurde (Apg 2, 36). Diese geistgegebene Einsicht macht nur Sinn im Kontext der „Story“ über Israel. Jesus als „Herrn“ zu bezeichnen, hieß ihn als YHWH’s Lösung für die nationale Krise, der Israel ausgesetzt war, zu identifizieren: Einzig ein Israel, das Jesus als Herrn bekannte, könnte der kommenden Katastrophe des Krieges gegen Rom entkommen oder diese überleben. Kein einziger Jude glaubte, dass Jesus sein oder ihr Herr und Retter sei, außerhalb dieser prophetischen Erzählung. Wer also dieses Bekenntnis aussprach, meinte direkt, dass er oder sie praktisch in diese spezifische Geschichte involviert sei.
- Nach einigen wenigen Jahren wurde diese Perspektive ersetzt durch die Ansicht einer sogar noch außergewöhnlicheren geschichtlichen Transformation. Im ganzen griechisch-römischen Reich kamen Juden und Heiden zu der Vorstellung, dass das Bekenntnis von Jesus als „Herrn und Retter“ zusätzlich die Aussicht unterstrich, dass er in einer absehbaren Zukunft auch als Richter und Regent der Nationen fungieren würde. Um es so zu sagen: das Gebet von Psalm 82 — das weit größere Bedeutung hat als all der etwas lustige Stoff über den göttlichen Thronsaal — wurde erfüllt im Namen Jesu, der es abgelehnt hatte, den üblichen Weg zu wählen, um über die Völker zu herrschen. Vielmehr wurde er über den Kreuzestod erhöht auf den Platz höchster Autorität und Macht (Phil. 2:6-11). Der Gott Israels sollte das Erbe über die Völker der griechisch-römischen Welt antreten, weil Jesus bis zum Tod treu gewesen war, was solch eine außergewöhnlich überraschende Wende von Geschichtsereignissen war, wie nie jemals zuvor in der Geschichte.
- Ja, eine selbstzufriedene, kurzsichtige Kirche kann es sich leisten ihre Mitglieder einzulullen mit jener Zusicherung, „dass Gott sie liebe und einen wundervollen Plan für ihr Leben habe“. Eine Kirche aber, die genau weiß dass sie sich ihrer Abschaffung zu stellen hat, kann das nicht.
Natürlich war Glaube an diesen Jesus immer schon grundlegend persönlich, aber nicht weil es Menschen sich gut fühlen ließ. Die personale Dimension stellte sich aus einem ganz einfachen Grund ein: Die Nachfolger Jesu würden sich schwersten Widerständen gegenüber sehen müssen. So wurden sie nicht hinein getauft in eine wundervolle charismatische Erfahrung, oder in ein Leben voller Wohlstand und Glück, noch selbst in eine warmherzig-freundliche Gemeinschaft.
Sie wurden hinein getauft in seinen Tod, sie identifizierten sich mit dem gefolterten Jesus, im Bewusstsein dass sie selbst wahrscheinlich seine Leiden teilen würden, aber auch in der Hoffnung, dass sie schließlich seine öffentliche Rechtfertigung und seinen Ruhm teilen könnten—wenn nicht vor, dann nach ihrem eigenen Tod.
Das bedeutete für die frühe Kirche „in Christus“ zu sein. Jesus war der Pionier der eschatologischen Transformation. Die Apostel und Kirchen waren die Speerspitze dieser eschatologischen Transformation, die Werkzeuge durch welche die heidnische Ordnung überwunden werden würde und Christus anerkannt werden würde als der „Sohn Gottes“ (als Kyrios-Kaiser). Sie nahmen ihre eigenen Kreuze auf und folgten ihm. Das war sicherlich ein äußerst persönliches Geschäft.
Das Martyrium von Polikarp erzählt von dem geduldigen Leiden der Brüder und Schwestern, die mit dem Ausbruch der Verfolgung starben, die mit dem Tod Polikarps zu Ende ging:
Sie selbst erreichten solch einen Grad an Tapferkeit, dass nicht einer von ihnen einen Schrei oder ein Stöhnen ausstieß, was uns allen zeigte, dass in der genauen Stunde ihrer Folter die Märtyrer Christi getrennt von ihrem Fleisch waren oder zumindest aber dass der Herr als Beistand mit Ihnen kommunizierte. (2,2).
Ja natürlich gab es mehr in einer Beziehung zwischen den Gläubigen und Christus als das—wir könnten z. B. über die ekstatischen Begegnung mit dem auferstandenen Herrn im Lobpreis sprechen. Aber die Nachfolge der Leiden Christi durch die Märtyrer (cf. Mart. Pol. 1:1) verankerte die ganze persönliche Erfahrung in einem Narrativ, das seine Steigerung in der Unterwerfung der Götter finden würde, inklusive des Gottes Caesar. Jesus als „Herrn“ zu bekennen war die Bekundung einer Story und der dazu passenden Verhaltensweise.
Ergreife das Programm
Wenn wir also die Redewendung „persönliche Beziehung“ heutzutage nutzen, müssen wir zuerst den Kontext, das Narrativ, die Agenda und die Aufgabe genau identifizieren. Dieser Denkrahmen ist weiterhin genauso richtig wie er es damals war. Wenn ich also bekenne, dass Jesus mein Herr und Retter ist, dann verpflichte ich mich nicht einfach nur der Person Jesus, sondern seinem ganzen Programm.
Das Programm ist meiner Meinung nach ein Zweiteiler
- die Kirche muss voller Glauben und Gehorsam operieren—gewiss zu allen Zeiten—als priesterlich-prophetisches Volk, indem es den Interessen des lebendigen schöpferischen Gottes inmitten einer rebellischen Welt dient. Das ist grundlegend das, wofür wir auch Heute noch da sind.
- Die aktuelle Kirche als priesterlich-prophetische Gemeinschaft in dem säkularen, westlichen Kontext muss sich mit dem Gott der Geschichte engagieren, der sein Volk nach dem Zusammenbruch des „1500jährigen Christentums“ durch außergewöhnlich schwierige Übergangszeiten führt .
Für die Juden der Exodus-Generation war die gefährliche Grenzerfahrung, die ihre Existenz bedrohte, die Flucht aus Ägypten und die Wüstenwanderung. Für Juden im sechsten Jahrhundert vor Christus war es das babylonische Exil. Für Juden der zweiten Tempelperiode war es die Unterdrückung durch erfolgreiche griechisch-römisch-heidnischen Invasoren.
Für die heutige Kirche ist die schwierige Grenzerfahrung weder Exodus, Exil oder heidnisch-imperiale Unterdrückung, sondern ihr Niedergang in die Belanglosigkeit (Marginalisierung).
Genau wie Paulus oder die Heiligen von Philippi (z.B. Phil. 1, V.29-30) oder die Märtyrer in Smyrna sich tief der Tatsache bewusst waren, dass sich zu Jesus als Herrn zu bekennen eben bedeutete, an seinen Leiden teil zu haben, um der Bekämpfung des klassischen Heidentums willen. Eben so braucht die westliche Kirche heute die Verknüpfung der „persönlichen Beziehung mit Jesus“ mit dieser größeren Aufgabe. Jesus als meinen „persönlichen Herrn und Heiland“ (Retter) zu bekennen, bedeutet demnach also, eine überzeugende prophetische Geschichte über Krise und Reformation zu erzählen und dann dementsprechend zu handeln!
Können wir genauer fest machen, was diese Geschichte enthalten sollen? Wir können jetzt starten!
Wenn ich mich also persönlich involvieren lasse und Jesus als meinen Herrn und Heiland bekenne, brauche ich einen Sinn für Geschichte—wenigstens einige Aspekte der „Story“, die uns an diesen Punkt gebracht hat, vielleicht sehr ähnlich wie die provokative Zusammenfassung der jüdischen Geschichte in Apostelgeschichte 7 durch Stephanus oder die von Paulus in Apostelgeschichte 13,16-41.
In dem ich diese „Story“ mir selbst und der Kirche erzähle, vielleicht sogar gegenüber „Außenstehenden“ plausibel zu machen versuche, eröffne ich damit die Frage nach der Zukunft. Wo bringt uns das alles hin? Wo bringt er seine Leute hin, sein Volk? Wegen all der Schwierigkeiten, die mit diese Art von Unternehmen verbunden sind, denke ich, sollten wir eine wirklich konkrete, zeitgemäße und plausible Vision einer göttlichen Zukunft haben.
Ich kann dann beginnen meinen persönlichen „Glauben“ in die Rahmenhandlung dieser „Story“ hinein neu zu formulieren. Es geht dann bei allem Persönlichen weniger um mich, mehr um den Gott, der sich ein Volk erwählt hat, das ihm dient und der seinem Volk alles Notwendige bereitgestellt hat, um diesen Dienst unter schwierigsten, wechselnden historischen Umständen durchzuhalten.
Ich denke, dass ich heute grundlegend dafür gerechtfertigt werde, an dieses göttliche Programm zu glauben und dementsprechend zu handeln, obwohl der säkulare Westen sich fast vollständig von seinem christlichen Erbe — jedenfalls in einer bedeutungsvollen Weise — verabschiedet hat.
Der nächste Schritt, glaube ich, wäre für mich als Gemeindeleiter—das ist also nicht völlig hypothetisc—der, die Aufgabe umzusetzen, kirchliche Gruppen und Kreise mit dieser Geschichte des Glaubens zu verbinden. Ich habe zwar nicht große Hoffnung, das monströse Containerschiff des modernen Evangelikalismus in eine narrativ-historische Richtung zu wenden. Es gibt aber schon eine kleine Flotte winziger, experimenteller, missionaler Gemeinschaften auf dem Meer (in mehr als einem Sinn dieses Begriffs), die einen überzeugenden biblisch–prophetischen Sinn dafür haben, genau diese Anleitung ihrer Lebensausrichtung zu benötigen.
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